Pflegestufe II erfolgreich beantragen

Angler vor Sonnenuntergang am Meer.

In meinem direktem Umfeld haben in den letzten 24 Monaten drei Personen einen Pflegegrad (ehemals Pflegestufe) beantragt und bekommen. Dabei war von 1 bis 3 alles dabei (insgesamt gibt es 5 Pflegestufen). Je höher die Zahl, desto mehr Leistungen bekommt man zugesprochen. Für viele, die nicht in einem Heim sind, ist initial die Pflegestufe 2 die interessanteste, weil man in dieser Stufe jeden Monat 316 Euro überwiesen bekommt und damit selber machen kann was man will. Gerade wenn Verwandte oder Freunde bei der Pflege helfen, ist dies am praktischsten (man kann z.B. jemanden Geld fürs Tanken ohne jegliche Bürokratie geben). Ist ein Pflegedienst involviert ist das ganze wieder etwas ganz anderes (dann gibt es mehr Geld, aber man kann es nicht selber verteilen). Pflegestufe 1 ist in diesem Fall völlig uninteressant. Ab Pflegestufe 3 hat man eh ganz andere Probleme.

Der Prozess der Beantragung

Wenn man das Gefühl hat evtl. eine Pflegestufe zu haben, so kann man bei seiner Krankenkasse anrufen und sich den Antrag zuschicken lassen. Man füllt dann dieses Dokument aus und schickt es an die Krankenkasse.

Kleine Randbemerkung: Keiner der von mir drei betreuten Personen hätte dieses Formular selber ausfüllen können. Das ist an sich schon viel zu kompliziert.

Der Eingang des Antrages ist der Startschuss. Bekommt man den Pflegegrad 2 zugesprochen bekommt man ab diesem Datum finanzielle Unterstützung. Der nächste Schritt im Prozess ist der wichtigste. Die Erstellung eines “Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI”. Meistens kommt dazu ein Gutachter ins Haus (während der Corona Pandemie wurde das auch telefonisch gemacht). Es werden viele Fragen gestellt und sich die häusliche Situation angeschaut. Das ganze dauert etwa 2 Stunden.

Und das ist für mich der spannende Teil, den ich mit diesem Post transparenter gestalten will. Dabei ist zu beachten, das ich weder Justist noch Mediziner bin. Ich agiere als interessierter Laie. Es sollte jedem Leser klar sein, das ich keine Garantie für Vollständigkeit oder gar Korrektheit geben kann! Die folgenden Informationen habe ich zusammengesammelt und versuche sie hier sinnvoll aufzuarbeiten. Keine Garantie und keine Gewähr!

Wie erschwindele ich mir die Pflegestufe 2?

Ich gehe immer gerne vom Worst-Case Szenario aus, um ein Problem zu analysieren. In diesem Kontext ist die erfundene Person kerngesund, aber hat genügen kriminelle Energie, um sich die Pflegestufe 2 erschwindeln zu wollen. Wir nennen die Person Fridolin Müller, damit wir die Sache ein wenig menschlicher gestalten können.

Es ist klar, das Fridolin Müller ein Betrüger wäre und sich strafbar machen würde! Es geht mir hier um die Erklärung des Bewertungsystems. Eine solche Erklärung ist an den beiden Rändern des Spektrums einfacher. Da das eine Extrem bei Pflegegrad 5 völlig klar in der Bewertung ist, nehme ich das andere Extrem, sprich einen kerngesunden Menschen. So lässen sich die Besonderheiten des Bewertungssystems besser veranschaulichen.

Achtung: Ich schreibe das hier alles in einem lockeren Ton. Das ist aber nicht so locker gemeint. Es geht mir darum aufzuzeigen, das auch Kleinigkeiten eine große Veränderung in der Bewertungsmatrix bewirken können. Ich könnte den ganzen Text auch traurig und ernst schreiben. So liest er sich halt einfacher.

Die meisten Gutachter wollen helfen

Meiner Erfahrung nach wollen die meisten Gutachter helfen und Fragen auch nach, wenn vielleicht irgendwo ein “leichter” Punkt mitgenommen werden kann. Aber die Gutachter sagen natürlich nicht “Herr Müller, wenn Sie mir jetzt sagen, das sie Schwierigkeiten mit Treppenstufen haben, dann kann ich Ihnen dafür bis zu 3 Punkte geben.” Eine Gutachterin würde eher “Und haben Sie wirklich keine Probleme mit Treppen?” nachfragen. Ziel dieses Dokumentes ist, solche Stellen im Workflow besser zu erkennen und dann darauf eingehen zu können.

Das 100 Punkte System

Um die Einstufung in eine Pflegestufe objektiver zu gestalten, gibt es ein Punktesystem. Vom Gutachter wird eine Matrix an Fragen abgefragt und die Antworten werden am Ende zu einer Gesamtpunktszahl addiert (wie genau erkläre ich gleich im Detail). In Summe gibt es maximal 100 Punkte. 100 Punkte wäre dann ganz klar Pflegestufe 5. Herr Müller ist in unserem Beispiel ja kerngesund und hat deshalb auch keinen Pflegebedarf. Er hätte damit 0 Punkte und auch keinen Pflegegrad. Das ist übrigens alles ganz unabhängig vom Alter. Auch ein 20-jähriger kann Anrecht auf einen Pflegegrad haben. Hier ist die Tabelle, in der man ablesen kann wie viele Punkte zu welchem Pflegegrad benötigt werden.

Pflegegrad Mindeste Punktzahl
1 12,5
2 27
3 47,5
4 70
5 90

27 Punkte bedeuten 316 Euro im Monat

Fridolin will sich die 316 Euro im Monat für den Pflegegrad 2 ergaunern. Dafür benötigt er mindestens 27 Punkte!. Die Pflegestufe 1 bringt ihm faktisch nichts.

Die Module

Es gibt in der Bewertungsmatrix 6 Module für verschiedene Problembereiche.

Gewichtung der Probleme

Die Module werden unterschiedlich gewichtet:

Nr. Modulname Weitere Information Prozentualer Anteil
1 Mobilität   10 %
2 und 3 Kognitive und kommunikative Fähigkeiten oder Verhaltensweisen und psychische Problemlagen In die Berechnung des Pflegegrades fließt nur eines der beiden Module ein, und zwar das mit der höchsten Punktzahl. 15 %
4 Selbstversorgung   40 %
5 Bewältigung von und selbständiger Umgang mit Anforderungen und Belastungen durch Krankheit oder Therapie   20 %
6 Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte   15 %

Man sieht schnell, das beim Modul “Selbstversorgung” am meisten Punkte abzustauben sind. Alleine damit könnte man locker den Pflegegrad 2 erreichen. Deshalb fangen wir auch mit diesem Modul an.

Selbstversorgung (Modul 2)

In der folgenden Tabelle ist dargestellt wie sich die Punkte beim Modul Selbstversorung verteilen.

Modul Kriterien Selbstständig Überwiegend selbstständig Überwiegend unselbstständig Unselbstständig
4.1 Waschen des vorderen Oberkörpers 0 1 2 3
4.2 Körperpflege im Bereich des Kopfes (Kämmen, Zahnpflege/Prothesenreinigung, Rasieren) 0 1 2 3
4.3 Waschen des Intimbereichs 0 1 2 3
4.4 Duschen oder Baden einschließlich Waschen der Haare 0 1 2 3
4.5 An- und Auskleiden des Oberkörpers 0 1 2 3
4.6 An- und Auskleiden des Unterkörpers 0 1 2 3
4.7 Mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken 0 1 2 3
4.8 Essen 0 3 6 9
4.9 Trinken 0 2 4 6
4.10 Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls 0 2 4 6
4.11 Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma 0 1 2 3
4.12 Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma 0 1 2 3
4.13 Ernährung parenteral oder über Sonde 0 1 2 3

Low Hanging Fruits im Modul 2

Es geht bei diesem Teil, um Antworten, die man nicht kontrollieren kann und die auch einen gewissen Spielraum in der Betrachtung bieten.

Kriterien Nummer Low Hanging Fruit Punkte
Essen und Trinken 4.8+4.9 Vergisst Herr Müller das Trinken manchmal und wird daran errinnert, ergibt das “überwiegend selbstständig” und 2 Punkte. Beim Essen gibt es dafür sogar 3 Punkte. 5
Mundgerechtes Zubereiten der Nahrung 4.7 Wenn das Essen bereits vorgeschnitten und in Tupperdosen geliefert wird, kann man hier 1 Punkt erhalten. 1
Duschen und Baden 4.4 Wer Hilfe beim Haarewaschen benötigt, kann hier 1 Punkt erhalten. 1
An- und Auskleiden 4.5+4.6 Hier kann man sich einen leichten Punkt holen. Wenn man hin und wieder Hilfe beim Anziehen einer Jacke und bei bestimmten Schuhen braucht, gibt es sogar 2 Punkte. 1
Summe     8

Mit 8 Punkten sind wir hier schon ganz gut dabei. Das sind fast 30% der benötigten Punktezahl für Pflegegrad 2. Je nach Phantasie und krimineller Energie kann man aus diesem Modul auch noch leicht mehr Punkte rausholen.

Bewältigung von und selbständiger Umgang mit Anforderungen und Belastungen durch Krankheit oder Therapie (Modul 3)

In diesem Modul gibt es von den 100 maximal erreichbaren Punkten 20. Es ist zu beachten, das die Tabelle aufgeteilt ist. Die unterschiedlichen Bereiche werden gesonders bewertet (man muss auf die Häufigkeit im Kopf des jeweiligen Bereiches achten).

Bei den Kriterien 5.1 bis 5.7 wird immer der Durchschnitt pro Monat auf einen Tag berechnet.

Modul Kriterien seltener als einmal täglich ein- bis dreimal täglich vier- bis achtmal täglich mehr als achtmal täglich
5.1 Medikation 0 1 2 3
5.2 Injektionen 0 1 2 3
5.3 Versorgung intravenöser Zugänge (Port) 0 1 2 3
5.4 Absaugen und Sauerstoffgabe 0 1 2 3
5.5 Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen 0 1 2 3
5.6 Messung und Deutung von Körperzuständen 0 1 2 3
5.7 Körpernahe Hilfsmittel 0 1 2 3
Modul Kriterien seltener als einmal wöchentlich ein- bis mehrmals wöchentlich ein- bis zweimal täglich mindestens dreimal täglich
5.8 Verbandswechsel und Wundversorgung 0 1 2 3
5.9 Versorgung bei Stoma 0 1 2 3
5.10 Regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden 0 1 2 3
5.11 Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung 0 1 2 3

Jetzt wird es komplizierter. Bei 5.12 bis 5.15 muss man sich anschauen, wie oft etwas in einem Monat gemacht wird. Darus ergeben sich dann Zwischenpunkte, die nichts mit den anderen Punkten zu tun haben, sondern nur dafür benutzt werden, die anderen Punkte auszurechnen.

Beispiel: Wenn Herr Müller jede Woche einmal zum Arzt muss, dann gibt es dafür 4,3 Zwischenpunkte. Denn der Monat hat etwas mehr als 4 Wochen (die restlichen 3 Tage geben dann die 0,3 Punkte). Am Ende würde Herr Müller dafür 1 echten Punkt bekommen.

Modul Kriterien 0 - 4,3 4,3 - 8,6 8,6 - 12,9 12,9 - 60 60 und mehr
5.12 Zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung 0 1 2 3 6
5.13 Arztbesuche 0 1 2 3 6
5.14 Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (bis zu drei Stunden) 0 1 2 3 6
5.15 Zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen (länger als drei Stunden) 0 1 2 3 6
Modul Kriterien ist nicht erforderlich überwiegend selbständig überwiegend unselbständig unselbständig
5.16 Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- und therapiebedingter Verhaltensvorschriften 0 1 2 3

Low Hanging Fruits im Modul 5

Tja, … jetzt wird die Luft schon dünner für Herrn Müller. Er kann ja schlecht sagen, das er 3 mal am Tag Medikamente nimmt, wenn er gar keine Medikamente verschrieben bekommen hat.

Wenn Herr Müller eine Brille trägt, dann kann man damit einen Punkt rausholen. Ein weiterer Punkt ist drin, wenn Herr Müller sich täglich Blutdruck und Fieber misst.

TODO: Das muss besser erklärt werden.

Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (Modul 6)

Das Modul 6 gibt Herrn Müller wieder etwas mehr Freiraum für seine kriminellen Energien. Es wird bewertet, wie selbstständig ein Mensch seinen Alltag und soziale Kontakte gestalten und pflegen kann.

Modul Kriterien Selbstständig Überwiegend selbstständig Überwiegend unselbstständig Unselbstständig
6.1 Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen 0 1 2 3
6.2 Ruhen und Schlafen 0 1 2 3
6.3 Sichbeschäftigen 0 1 2 3
6.4 Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen 0 1 2 3
6.5 Interaktion mit Personen im direkten Kontakt 0 1 2 3
6.6 Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfeldes 0 1 2 3

Low Hanging Fruits im Modul 6

Es geht bei diesem Teil, um Antworten, die man nicht kontrollieren kann und die auch einen gewissen Spielraum in der Betrachtung bieten.

Hier kann Herr Müller problemlos 6 Punkte abstauben in dem bei allen Punkten “überwiegend selbstständig” eingetragen wird. Bei Betreuer schaut halt regelmässig nach und hilft bei Kleinigkeiten.

Das Moduel ist sehr wischi-waschi. Hier kann man auch mehr als die 6 Punkte rausholen.

Mobilität (Modul 1)

Auch wenn die Module 2 und 3 in der Summe mehr Punkte bringen, nehmen wir uns jetzt er mal das Modul 1.